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Matthäus 27, 33-54 – Karfreitag 2024 Lindenberg / Lambrecht

Homemade cross on an open Holy Bible book. Cross in open Bible.

Liebe Gemeinde,
Karfreitag – jedes Jahr aufs Neue bedenken wir, ob mit Andacht oder Schaudern, mit Erschrecken oder Sprachlosigkeit, das Leiden und Sterben Jesu am Kreuz auf Golgatha. Und immer mehr Menschen fragen immer wieder: „Wozu ist Jesus eigentlich am Kreuz gestorben?
Was macht sein Leiden so außergewöhnlich, dass wir bis heute darüber sprechen? Wer ist dieser Jesus und was bedeutet er für mich ganz persönlich?“
Wie er sind doch damals unzählige Menschen grausam ermordet worden. Der Kreuzestod war eine häufig angewandte Hinrichtungsart, mit der die römische Besatzungsmacht für Schrecken in der Bevölkerung sorgte. Zu manchen Zeiten waren die Durchgangsstraßen gesäumt von Kreuzen. Mitgefühl zu zeigen war schon gefährlich, sich um die Opfer zu kümmern gänzlich unmöglich, wenn man nicht selbst zum Opfer werden wollte. Für die Menschen zur Zeit des Matthäusevangeliums war das Realität.
Auch unsere Welt ist immer noch voll von Leiden. Wir erfahren täglich davon. In unserer von Medien dominierten Welt mehr denn je. Und mehr als wir oft wissen wollen. Wir sehen sie andauernd die Bilder von Menschen, die gequält und misshandelt werden, von Menschen, die hungern oder unter Krieg und Terror leiden. Wir sehen Bilder von zerstörter Natur, von leidenden Menschen und Tieren und sind immer wieder schockiert, wie hilflos wir Menschenbsolchen Ereignissen ausgeliefert sind. Und wir erleben es im eigenen Umfeld, wie Menschen von Krankheit und Tod gezeichnet sind.
Wie können wir weiter an Gott glauben, auf Gott hoffen? Wie können wir weiterhin Gott und die Menschen lieben, wenn wir gleichzeitig immer wieder diese Macht des Todes ertragen und auch akzeptieren müssen?
Leiden und Tod machen uns Angst. Das Lebensgefühl vieler Menschen in unserer Zeit ist von Angst bestimmt. Angst vor der Zukunft, Angst vor Sinnlosigkeit und Leere im Leben. Angst vor Gewalt und Unglück. Angst davor, selbst leiden zu müssen. Liebe Gemeinde, es gibt sehr unterschiedliche Arten mit unserer Angst umzugehen und auf das Leiden, das wir sehen, zu reagieren. Oft genug schauen wir weg, weil wir es nicht ertragen können. Wir versuchen zu verdrängen, was uns beängstigt. Wir wollen nicht ständig damit konfrontiert werden, welches Elend und welche Not es in unserer Welt gibt. Es gibt aber auch so etwas wie ein sensationslüsternes Zuschauen aus einem bequemen Abstand heraus. Auch das Matthäusevangelium erzählt davon. Denn zufällig können diese Zuschauer*innen nicht vorbeigekommen sein, von denen hier die Rede ist. Schließlich war Golgatha damals außerhalb der Stadtgrenzen. Es ist überhaupt erschütternd, wie viel Häme hier über den Leidenden am Kreuz ausgeschüttet wird. Anstatt ihm etwas zu trinken zu geben, was ihm ein wenig gut täte, gibt ihm jemand etwas Bitteres, Ungenießbares. All die bösen Worte und der Spott machen alles noch viel schlimmer. Schadenfreude ist leider eine typisch menschliche Eigenschaft. Wenn jemand ein Unglück zustößt, dann finden sich auch immer Menschen, die sich daran ergötzen. Im tiefsten Inneren sind sie vermutlich froh darüber, dass es sie selber nicht getroffen hat. Für die Betroffenen verschlimmert es jedoch die Situation im Allgemeinen.
Denn es schmerzt, wenn zu allem Unglück auch noch gehässiges Gerede und schadenfrohes Verhalten der anderen dazu kommen. Oft genug können wir erleben, dass Menschen auch völlig grundlos Opfer von Mobbing und Hass werden. Heutzutage bietet das Internet da eine
dankbare Plattform. Wie viel Leid da schon verursacht wurde, sogar Existenzen bedroht oder zerstört wurden, lässt sich nur erahnen. Eine österreichische Ärztin, die vor einiger Zeit so massiv unter sogenannten Hassbotschaften leiden musste, dass sie letztendlich keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich das Leben zu nehmen, ist ein tragisches Beispiel, das bekannt geworden ist. Aber auch viele andere, oft prominente Personen, sehr häufig in Politik und Medien engagierte Frauen, bekommen die Wucht von Häme und Hass zu spüren.
Was bewegt Menschen dazu, andere zu beschimpfen und auszugrenzen? Warum tun das auch hier in unserer Geschichte nicht nur einfache Vorüberkommende, sondern auch kluge und gebildete Menschen? In der Geschichte wurde der Fehler gemacht, von diesen unrühmlichen Beispielen auf die ganze Gruppe der jüdischen Gelehrten zu schließen. Dieser Fehler hatte bekanntlich weit reichende und gravierende Folgen. Uns wurde ein richtig düsteres Bild der Pharisäer*innen vermittelt. Es wurde ja sogar behauptet, „die Juden“ seien schuld am Tod Jesu.Bis heute bestimmen uns solche antisemitischen Bilder stärker, als wir es uns oft bewusst sind. Wir erleben, wie diese Bilder gezielt eingesetzt werden und dafür sorgen, dass jüdische Menschen sich auch bei uns nicht sicher fühlen, wenn sie auf die Straße gehen. Die Macht, ein Todesurteil auszusprechen und dann auch zu vollstrecken, lag jedoch ganz allein bei der römischen Besatzungsmacht, die davon reichlich Gebrauch gemacht hat.
Wie schon erwähnt, war diese Kreuzigung ganz und gar kein Einzelfall. Jesus war nur eines von unzähligen Opfern von Unrecht und Gewalt.
Was macht die Kreuzigung dieses Jesus von Nazareth dann zu so etwas ganz Besonderem?
Was macht diesen speziellen Tod so einzigartig für uns? Das Besondere an dieser Kreuzigung ist, dass dieser Jesus symbolisch steht für alles Leiden und für alle Menschen. Ja, für das Leiden aller Lebewesen.
Das Matthäusevangelium spielt hier ganz bewusst auf jüdische Traditionen an, die es zwar nicht ausdrücklich zitiert, aber die seinen Leser*innen mit Sicherheit bekannt sind. Da klingen Psalmen an und vor allem auch die Tradition des Gottesknechtes aus der hebräischen Bibel,
der als Symbol für das ganze Volk steht und stellvertretend für das ganze Volk das Leiden auf sich nimmt.
Für das Matthäusevangelium geschieht in dieser Leidensgeschichte etwas, was die Welt verändert, etwas Weltbewegendes. Es betont das, indem es von wundersamen, unerklärlichen Zeichen erzählt, die das Sterben Jesu begleiten, so dass sogar Menschen, von denen wir es nicht erwartet hätten, erkennen, dass dieser Jesus etwas Besonderes ist.
„Der Hauptmann und die Leute, die mit ihm Jesus bewachten, sahen das Erdbeben und die anderen Geschehnisse und erschraken sehr. Sie sagten: ‚Dieser Mensch ist wahrhaftig Gottes Kind.‘“
Die Leidensgeschichte Jesu ist und bleibt eine aktuelle Geschichte, in der wir vieles wiederfinden, von dem was uns bis heute das Leben schwer macht. Das Matthäusevangelium will uns Mut machen und uns sagen, dass in Jesu Leidensgeschichte deutlich wird, dass Gott in allem Leiden dabei ist und uns nicht alleine lässt.
Das Leiden Jesu war schließlich nicht das Ende. Ostern fing etwas ganz Neues an. Die Sache Jesu geht weiter bis heute. Leiden und Tod haben nicht das letzte Wort. Ihre Macht ist gebrochen. Denn Gott ist stärker als Leiden und Tod. Alle Grausamkeit der Menschheit, alle Todesmächte können nicht vernichten, was die Geschichte dieses Menschen, der da jämmerlich am Kreuz stirbt, uns allen klar machen will. Die Liebe ist nicht umzubringen.
Ich bin davon überzeugt, dass das Leid nicht von Gott kommt. Aber die Liebe hat ihren Preis.
Liebe, wie Jesus sie vorgelebt hat. Wer versucht, Gottes Liebe in unserer Welt lebendig zumachen, wird dadurch angreifbarer und verletzbarer. So wie Jesus es auch war.
Gott will uns das Leben in ganzer Fülle eröffnen. Das bedeutet dann auch, dass wir empfindsam sind für das Leid in der Welt. Je weiter wir unser Herz für andere öffnen, je lauter wir gegen das Unrecht eintreten, das um uns herum herrscht, desto schwieriger wird auch unser eigenes Leben. Desto mehr leiden wir selbst auch unter der Ungerechtigkeit und Lieblosigkeit in der Welt.
Wir können letztlich die Frage nicht beantworten, warum es Leiden geben muss. Wir werden wohl leider immer wieder die Erfahrung machen, dass Gott nicht einschreitet, obwohl Menschen so sehr darauf gehofft und dafür gebetet haben.
Wichtig ist aber doch, dass wir darauf vertrauen können, dass der Tod Jesu nicht umsonst war, sondern, dass sein Leiden und Tod uns Kraft gibt, unser persönliches Leiden auszuhalten. Ich vertraue darauf, dass keine Macht der Welt und auch kein Leiden es schaffen kann, die Macht der Liebe zu brechen.
Darauf zu vertrauen und es auch weiterzugeben, das ist der Beitrag den wir als Christ*innen leisten können. Mit unserer kleinen und begrenzten Kraft, aber immer wieder und Schritt für Schritt. Die Liebe wird letztendlich siegen. Davon bin ich überzeugt. Amen