Liebe Gemeinde,
wir erfahren hier von Menschen, die aufmerksam geworden sind auf Jesus und sein heilvolles Wirken und die das Bedürfnis haben, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Das scheint aber nicht so einfach zu sein. Sie müssen Umwege gehen, können sich aus irgendwelchen nicht näher bezeichneten Gründen nicht direkt an ihn wenden. Warum es so wohl so schwierig sein mag? Trauen sie sich nicht, Jesus selbst anzusprechen? Oder gibt es vielleicht eine Sprachbarriere, weil sie griechischsprachig sind, also vielleicht jemand brauchen zum Dolmetschen? Eine Person, die vermittelt und ihnen den Weg ebnet zum Verstehen der Botschaft Jesu.
Manchmal geht es mir doch auch so. Dass ich nicht direkt Zugang finde zur Botschaft Jesu. Oder dazu, wie es uns zum Beispiel auch Johannes übermittelt hat. Ganz zu schweigen von dem, was im Laufe der Jahrhunderte noch an Auslegungen und Traditionen dazu kam. Manche kirchliche Lehre hat vermutlich eher dazu beigetragen, uns heute das Verständnis der Bibeltexte zu erschweren statt zur Erhellung zu dienen. Haben Sie sich auch schon öfter mal gefragt, was Jesus wohl tatsächlich gemeint hat und was er von manchen unserer Interpretationen und kirchlichen Praktiken halten würde?
Immer wieder ist es notwendig, zu versuchen zu übersetzen, was die Bibel sagen will. Die biblische Botschaft muss immer wieder neu in unsere Zeit und unsere Welt übertragen werden. Wir brauchen viele Menschen, die das tun. Ja, wir brauchen uns gegenseitig, um die frohe Botschaft von der Liebe Gottes und dem Sieg des Lebens über den Tod in unserem täglichen Leben für einander lebendig zu machen. Damit wir es wirklich spüren und erleben können, was die Bibel uns auch hier wieder sagen will.
Der Evangelist Johannes will uns offensichtlich vor Augen führen, dass sich dort beim Passahfest in Jerusalem die Ereignisse zuspitzen werden und für alle sichtbar werden soll, welch besondere Beziehung Jesus zu Gott hat. Jetzt ist die Zeit gekommen, sagt er, dass es alle sehen sollen. Alle sollen erfahren können, was gerade schon Lazarus und seine Schwestern Martha und Maria erlebt haben. Dass Jesus das Leben bringt. Und dass in Jesus sichtbar wird, dass Gottes Liebe stärker ist als der Tod.
Viele haben es auch schon erkannt und deutlich gemacht, indem sie Jesus beim Einzug in Jerusalem zugejubelt haben, wie wir in den Versen direkt vor unserem Predigttext erfahren.
Wir wissen ja schon wie die Geschichte weiter ging, nachdem der Jubel verklungen war. Jesu Weg führte durch bitteres Leiden. Konsequent ist er diesen Weg weiter gegangen, hat es auf sich genommen, dass er mit seinem Leben bezahlen würde.
Eine traurige Geschichte, die die Menschen für die Johannes sein Evangelium ursprünglich schrieb, sicher auch schon beschäftigt hat. Ich stelle mir vor, dass sie sich genauso wie wir gefragt haben, warum das alles so geschehen musste. Warum muss ein guter Mensch so viel erleiden? Warum sind Menschen so grausam und brutal gegenüber jemand, der ihnen nichts Böses getan hat? Und wie hat er das aushalten können? Er und die vielen anderen, denen es ähnlich erging und bis heute ergeht. Wie kann ein Mensch so viel Leid ertragen?
Was kann uns Kraft und Mut geben durchzuhalten, wenn wir Schlimmes erleben? Wenn wir vielleicht schreckliche Schmerzen ertragen müssen, wenn wir Angst haben vor dem, was noch auf uns zukommen wird, wenn wir wissen, dass uns noch mehr Leiden bevorsteht.
Wie können wir auch in solchen schweren Zeiten noch am Vertrauen auf Gott festhalten? Was hilft uns, trotz allem die Hoffnung nicht zu verlieren? Die Hoffnung darauf, auch in allem Leid in Gottes Hand geborgen zu sein. Das Vertrauen darauf, dass letztendlich das Leben stärker ist als der Tod und die Liebe Gottes uns tragen wird. Durch alles Leid hindurch.
Die Menschen, an die sich der Evangelist Johannes richtet, hatten eine solche Ermutigung dringend nötig. Ihre Situation in der Nachkriegszeit nach dem Jüdischen Krieg Ende des 1. Jahrhunderts war sehr schwierig. Nach der Eroberung Jerusalems und der Zerstörung des Tempels durch die Römer im Jahre 70 nach Christus, setzte sich im jüdischen Glauben eine orthodoxe Richtung durch, die Geschlossenheit gegenüber allen Andersgläubigen erreichen wollte. Wer sich da nicht anpassen wollte oder konnte, wurde ausgegrenzt. Und so kam es, dass diese kleine jüdische Glaubensgemeinschaft, die den Rabbi Jesus verehrte und glaubte, dass er der verheißene Messias sei, keinen Platz mehr innerhalb der jüdischen Gottesdienstgemeinde hatte. Sie wurden aus der Synagoge ausgeschlossen. Das hatte schmerzhafte Folgen für die Betroffenen, vor allem auch in finanzieller und sozialer Hinsicht. Sie wurden isoliert, sowohl geschäftlich als auch privat. Wirtschaftliche Boykottmaßnahmen führten dazu, dass es schwierig wurde, den Lebensunterhalt zu verdienen. Niemand kaufte mehr bei ihnen ein, sie verloren ihre Arbeitsplätze, Freundinnen und Freunde und Familienangehörige wandten sich ab. Da hatten sie in ihrer Gemeinschaft letztendlich nur noch sich gegenseitig und versuchten tapfer an ihrer Überzeugung festzuhalten und trotz allem Jesus Christus nachzufolgen. Trotz aller Angst und allen Zweifeln machten sich diese Frauen und Männer auf den Weg, in ihrem Alltag, ihren Beziehungen und ihren Gruppenstrukturen das Reich Gottes aufzubauen. Die johanneischen Gemeinden versuchten partnerschaftlich zu leben und so den Glauben an die Gleichwertigkeit aller Menschen zu verwirklichen. Das war ihnen offensichtlich so wertvoll, dass sie sich all dem Leiden, das ihre Ausgrenzung ihnen brachte, ausgesetzt haben.
Ich denke, wir können uns alle vorstellen, wie schwer das oft gewesen sein muss. Allen Widerständen und Feindseligkeiten zum Trotz festzuhalten an der Überzeugung, dass Gott alle Menschen liebt, alle gleiche Rechte und Chancen haben sollen. Ja, dass letztendlich das Leben und die Liebe siegen werden.
Und vor allem, dass sie selbst dazu einen wichtigen Beitrag leisten können.
Oft werden sie sich gefragt haben, ob es überhaupt einen Sinn hat, sich einzusetzen. Ob es die Sache wirklich wert ist, sich all den Schwierigkeiten auszusetzen, sogar vielleicht manchmal ihr Leben zu riskieren. Sicher haben sie hin und wieder gezweifelt, ob sie wirklich den richtigen Glauben haben, dem richtigen Ideal folgen. Ob der Preis nicht zu hoch ist, den sie zahlen.
Die Worte des Johannesevangeliums wollen Trost spenden und Mut machen. Auch hier in dem wunderschönen Bild vom Weizenkorn, das stirbt, damit etwas Neues daraus wachsen kann. Das können wir alle gut nachvollziehen. Es ist schließlich eine Grunderfahrung unseres Lebens, dass manches enden muss, damit Neues entstehen kann.
Es ist für mich immer wieder faszinierend wie die Natur das macht. Da ist so ein winzig kleines Samenkorn, das trocken und verschrumpelt aussieht, so als ob es tot wäre. Und wenn es nicht in die Erde kommt, kein Wasser und keine Nährstoffe erhält, dann bleibt es das auch. Im Mutterschoß der Erde, im Dunkeln verborgen, unserem Blickfeld entzogen, da schlummert es noch ein wenig vor sich hin bis es dann zu neuem Leben erwacht. Mühsam muss es sich durch das Erdreich hindurch kämpfen, die oberste Schicht kräftig durchstoßen, bis es sich dann, durch das Sonnenlicht unterstützt, entfalten kann und wächst. Dann aber bleibt das einzelne Samenkorn nicht allein, sondern trägt irgendwann viel Frucht und es entstehen viele neue Weizenkörner.
Diesem Grundprinzip des Lebens folgen wohl alle Lebewesen mehr oder weniger. Immer wieder müssen wir durch Dunkelheit und Angst hindurch, um weiterzukommen und uns zu entwickeln. Jeder wichtige Entwicklungsschritt ist zunächst mit Schmerzen oder Schwierigkeiten verbunden, durch die wir meist sogar allein durch müssen.
Das beginnt schon ganz am Anfang unseres Lebens.
Nicht alle unter uns haben selbst ein Kind geboren, aber wir alle, Frauen und Männer, jung und alt, sind diesen Weg ins Leben angetreten. Wir alle hatten diese Grunderfahrung, an die wir uns zwar nicht mehr bewusst erinnern können, die aber doch in uns schlummert. Schon der Vorgang der Geburt ist wohl sehr anstrengend. Die meisten Kinder begrüßen das Licht der Welt mit einem erschreckten Schrei und sind erst mal geschafft von diesem anstrengenden Weg vom Dunkel heraus ins Licht. Und die diejenigen, die sich nicht selbst anstrengen mussten, weil sie durch einen Kaiserschnitt heraus geholt wurden, wirken zunächst sehr überrascht bis geschockt.
Jesus hat in seinen Gleichnissen öfter vom Samenkorn erzählt, zum Beispiel vom Senfkorn, das sehr klein ist und dann ein großer Baum wird. In unserem Predigttext hat Jesus nach Johannes das Gleichnis vom Samenkorn nun auf seinen eigenen Tod und seine eigene Auferstehung hin ausgelegt. Solche Worte ermutigten die Menschen damals durchzuhalten und den Weg weiter zu gehen, den sie beschritten hatten trotz aller Ängste und aller Gefahren. Ich finde, sie können auch uns die Kraft, geben, immer wieder Möglichkeiten zu suchen, wie wir dazu beitragen können, dass sich Gerechtigkeit und Frieden in unserer Welt vermehren. Der Weg der Nachfolge Jesu ist auch heute kein leichter Weg. Wir werden zwar glücklicherweise nicht wegen unseres Glaubens verfolgt. Wir erleben aber auch manchmal Ablehnung und wir müssen mit Enttäuschungen und Ängsten fertig werden. Gerade weil uns die Welt mit all ihren Geschöpfen am Herzen liegt, spüren wir oft schmerzlich wie bedroht alles Leben ist. Und doch dürfen wir hoffen und darauf vertrauen, dass das Leben letztendlich siegen wird. Und dass wir auf unserem Weg im Sinne Jesu, begleitet von Gottes Liebe, ein Leben in ganzer Fülle erfahren dürfen.
Amen, amen, ich sage euch:
Wenn das Weizenkorn, das in die Erde fällt, nicht stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, trägt es viel Frucht.
Amen